abc.etüden: Notizen und ein Telefonat während einer Zugfahrt

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Für Christianes abc.etüden, Woche 45/46.2018:
3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Bettina und lauten: Knirps, grotesk, notieren.

*****

Sie saß im Zug. Sie war auf dem Weg zu ihren Freunden. Sie holte ihr Notizbuch aus der Tasche. Sie hatte es immer bei sich, denn sie liebte es im Zug zu schreiben. Hinter ihr hörte sie eine männliche Stimme:

„Ja, das können wir ganz in Ruhe mit unserem Berater klären. Ja klar, kann ich die finanzielle Situation neu berechnen. Der Berater erhält eine Zahl von mir. Nein, wir treffen uns dort. Genau um 11 Uhr. Das Gespräch wird eine Stunde dauern.“

Sie notierte in ihr Büchlein: Ich freue mich auf Hannes und Lisa. Wie es den beiden wohl geht? Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen?

„Ich schlage vor, dass wir das alles in ruhigem Ton und in neutraler Atmosphäre klären. Du hast schlecht über mich geredet. Du kennst meine Position, die werde ich nicht ändern. Ich stehe dazu“, führte er weiter in sehr gefasstem Ton aus.

Die Worte drangen an ihr Ohr und sie schrieb weiter: Zwei Kinder haben die beiden jetzt, zwei und fünf Jahre. Ob sie mich mögen werden?

„Wir werden mit dem Berater gemeinsam darüber sprechen und klären, wann ich unsere Kinder sehen kann“ meinte der Mann mit der sehr angenehmen Stimme hinter ihr.

Nun hielt sie inne, legte ihren Stift zur Seite. Sie freute sich seit Tagen auf die beiden Knirpse ihrer Freunde und der Typ hinter ihr diskutiert mit seiner zukünftigen Ex. Sie spürte ihren Ärger ansteigen. Das war ja wohl grotesk, hier mitten im Zug solch eine Unterhaltung zu führen, die alle mit anhören konnten. Sie schnappte ihren grellgelben Knirps, drehte sich um und fuchtelte dem gut aussehenden jungen Mann damit vor der Nase herum. „Zusammen bleiben ist besser! Das rate ich Ihnen!“.

Sprach’s und stieg aus. Sie war an ihrem Zielbahnhof angekommen und sah ihre Freunde schon weitem.

*****
Diesem Gespräch habe ich tatsächlich zugehört im Zug … vorgestern :-/. Mann!

10 Gedanken zu „abc.etüden: Notizen und ein Telefonat während einer Zugfahrt

  1. Ich werde sowieso nie verstehen, wieso Leute so Persönliches am Handy besprechen und es ihnen egal zu sein scheint, wer zuhört. Und wer im Auto die Freisprechanlage nutzt, unterhält alle Draußenstehenden aufs Beste. Fällt auch scheinbar keinem auf.
    Danke, dass du deine Erfahrungen mit uns (und den Etüden) teilst. 😉
    Liebe Grüße
    Christiane

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    • Ja, es ist schon verrückt mit dem Telefonieren in der Öffentlichkeit … diejenigen, die es tun, sollen es darauf anlegen, habe ich mal gehört: sie WISSEN dass sie gehört werden und so wollen sie es wohl. Ich hätte gerne öfter den Mut mich tatsächlich einzumischen oder nachzuhaken … oder wie hier zu sagen: Bleiben Sie besser zusammen.
      🙂
      Herzliche Grüße
      Petra

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      • Dass es Leute gibt, denen es egal ist, das kann ich gerade noch verstehen, aber der Exhibitionismus, die Dreistigkeit, irgendwelchen Unbekannten Persönliches aufzudrängen – so was ist mir fremd. 😦

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      • ich finde es so schrecklich, weil man eben die Ohren nicht zuschließen kann, man kann sie sich nur zuhalten. Hab mir deshalb Kopfhörer gekauft und bin FROH.

        Du hast so recht, es ist so dreist!

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    • ich sag dir, man könnte einen Blog darüber schreiben.
      Der Blog hieße: Heute unterwegs gehört oder „Ohrzeuge sein“.
      Hab mal neben einer jungen Frau gesessen, die neben mir ihren Tagesklinik- Therapieplatz klar gemacht: sie wäre gefährdet und braucht sofort Hilfe undsofort :-/.
      Schönen Abend. Petra

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      • Der Ohrzeuge-Blog wäre bestimmt witzig, so lange sich dort solche Geschichten finden 🙂

        Hast du dem Mann, der die Vorlage für die Geschichte, auch mit dem Schirm befuchtelt? 🙂

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      • Hallo René, schön, dass Du vorbeigeschaut hast. Danke!
        Ja, so ein Blog braucht dann einige AutorInnen, die gerne über das Gehörte schreiben. Ich glaube ich hatte da was Ähnliches bei Dir gelesen. Anna-Lena? war da auch fleißig am Berlinern mit Dir, achja und deine Etüde handelte ja auch von unterwegs in Berlin.

        Ich hatte überlegt, ob ich dem jungen Mann beim Rausgehen einfach nur sage „zusammen bleiben ist besser“ … hätte ich machen sollen, denn er hatte ja zum Zuhören eingeladen.

        Hören wir mal was uns heute so um die Ohren fliegt ;-).
        Liebe Grüße nach Berlin. Petra

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