Vorgestern bin ich in Dessau angekommen. Der Workshop startete abends. Ich fühle mich im Kreis der anderen Teilnehmerinnen sehr wohl, unsere Schreibtrainerin kenne ich aus früheren Frankfurter Zeiten. Alles gut also. Heute waren wir mit dem Fahrrad unterwegs vom Bauhaus zu den Meisterhäusern, zum Kornhaus und dann in einem großen Bogen auf dem Muldefahrradweg zurück nach Dessau mit kleinen Geschichten im Gepäck. Eine davon will ich euch hier vorstellen, geschrieben in einem kleinen Zimmer in einem der Meisterhäuser. Dieses Zimmer hat mir sofort gefallen und ich habe mich durch den Blick nach draußen inspirieren lassen. Ich hatte vier bzw. fünf Worte, aus denen eine Geschichte entstehen sollte. Die Epoche, die vorgegeben war: die 20er Jahre.



Felix saß in seinem kleinen Studierzimmer. Er war schon früh aufgestanden. Draußen war ein herrlicher Sommertag. Ein quadratischer Tisch in schwarzem Furnier und der Stuhl davor boten ihm seit Stunden Platz. Eine Adler Schreibmaschine stand vor ihm. Er hämmerte in blinder Wut auf die Buchstaben ein. Nur das Vogelgezwitscher und der Blick in den Garten konnten ihn an diesem Morgen trösten. Sein Auge suchte Halt im Grün. Die Pupillen weiteten sich und er atmete tief ein und aus. Ein leichter Kiefernnadelgeruch strömte in den Raum, den er tief einsog.
Seit einem halben Jahr war er Schüler von den berühmten Meistern. Wütend war er auf Anni Albers, die Meisterin, die ihm die Teilnahme in ihrer Meisterklasse verweigerte. Sie hatte seinen Wunsch, bei ihr aufgenommen zu werden, einfach abgelehnt. Sie wünschte sich nämlich mehr Frauen in ihrer Klasse und wollte den Zugang für das weibliche Geschlecht offen halten und nicht mit einer Überzahl an männlichen Studenten überfüllen. Felix Stolz war tief verletzt, denn er wollte unbedingt auch bei der bekannten Künstlerin und Lehrerin des Bauhauses studieren.
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